Ihr Rezept für Ehe: Reden
REIMENROD - Sie sind die ältesten Bürger Reimenrods und auch in Sachen "Eheleben" haben Elfriede und Ernst Becker den meisten Paaren im Umland einiges voraus: Nicht 25, nicht 50, nicht 60, sondern sage und schreibe schon 65 Jahre sind sie als rechtmäßig verbundene Eheleute füreinander und für ihre Familie da: Am 22. Oktober 1955 traten die gebürtige Rainröderin und der Reimenröder als Brautleute ganz feierlich vor den Traualtar, und mit großer Dankbarkeit freute sich das Jubelpaar am Donnerstag über das gemeinsame Erleben dieses seltenen Ehejubiläums - die Eiserne Hochzeit.
"In guten wie in schlechten Tagen - haben wir uns in jungen Jahren versprochen und zueinander Ja gesagt. Das Versprechen haben wir auch gehalten, obgleich im Alltag nicht immer die Sonne schien. Wir haben aber stets über die Dinge gesprochen, die uns in Höhen und Tiefen auf dem Herzen lagen und bewegten. Noch vor dem Schlafengehen wurde und wird das heute noch geklärt. Wer weiß schon, was morgen ist, und ob wir dann dazu in der Lage wären", gewährte das Paar wenige Tage zuvor einen Einblick in sein Geheimrezept für ein langes Eheleben. Das Ganze gespickt mit wertvollen Soft Skills wie Besonnenheit, Empathie, Herzlich- und Verlässlichkeit, Vertrauen, Kompromissbereitschaft sowie Familienzusammenhalt und allem voran das Wissen, wo für alle ein Zuhause ist und die Haustür offensteht - ein unbezahlbarer Schatz für die gesamte Becker-Familie mit Nachkommen in bereits vierter Generation. Dementsprechend wollen die Familien der Kinder Doris, Dieter und Christiane mit insgesamt vier Enkelkindern und sechs Urenkeln den Weg zu "Oma Elfriede und Opa Ernst" nach Reimenrod nicht missen.
Wie es zwischen der gelernten Schneiderin und dem tatkräftigen Mitarbeiter der ehemaligen landwirtschaftlichen Genossenschaft einst gefunkt hat, war schnell erzählt. "Wie es früher auf den Dörfern so üblich war - beim Tanz in den Mai Anfang der 1950er Jahre. Aus einem Tänzchen wurden ganz viele", schwelgten die Eheleute in Erinnerung. Ostern 1953 bat Ernst Becker um die Hand seiner Liebsten, zweieinhalb Jahre später läuteten im Oktober die Hochzeitsglocken.
"Ganz in Weiß" schneiderte sich die Braut ihr Traumkleid selbst und der Zukünftige bekam es nach klassischer Manier erst am Hochzeitstag zu Gesicht. Die standesamtliche und kirchliche Trauung fanden damals am gleichen Tag statt. Unvergessen blieb jener Samstag im Herbst im Gedächtnis, an dem das Brautpaar am Vormittag in der Heimatgemeinde ins Standesamtszimmer vom Bürgermeister schritt und vor den Augen von Ernst Beckers Großvater den Bund fürs Leben besiegelte. Sie kehrten zurück zum Elternhaus des Mannes, aßen zur Stärkung eine Nudelsuppe zu Mittag und richteten sich im Anschluss zur Fahrt nach Grebenau zur kirchlichen Trauung.
Während die Verwandten mit einem eigens bestellten Bus zur Kirche chauffiert wurden, fuhren wir mit einem Auto in unser gemeinsames Glück", erinnerten die 87-Jährige und ihr 93-jähriger Gatte noch einmal an ihren gefühlt "schönsten Tag im Leben". Nach dem kirchlichen Jawort wurde - wie früher ebenfalls üblich - auf dem heimischen Hof in Reimenrod mit mehr als hundert Gästen gut gegessen und Hochzeit gefeiert. Dafür wurde vorher sogar extra geschlachtet. "Und am Abend ging es wieder getrennt nach Hause", beschrieben die Senioren andere Zeiten einer Hochzeitsnacht. Elfriede Becker zog zu ihrem Mann ins Haus der Schwiegereltern, packte fortan in der Landwirtschaft mit an und kümmerte sich ebenso sorgsam um Haus, Hof, Garten, die Kinder, Enkel und spätere Pflege der eigenen Mutter und Schwiegereltern. Sie wurde zur "Frau für alle Fälle", wo auch immer eine hilfreiche Hand von Nöten, zum Ankerplatz für ihre Lieben und verlässlichen Partner im Privaten wie Beruflichen für ihren Ehemann.
Ernst Becker nämlich hegte schon seit seiner Kindheit eine besondere Vorliebe für Motoren, Fahrzeuge und Traktoren und brachte jedes Ventil in Bewegung. Durch die fürsorgliche Unterstützung seiner Frau baute er sich im Laufe der Jahre mit einem eigenen Fuhrunternehmen eine Existenz auf. Stetig wuchs sein Fuhrpark von landwirtschaftlichen Fahrzeugen über Pkw und Bus bis zum firmeneigenen Lkw an. "Gibt´s nicht, gab´s nicht" - er war ein Schaffer. Wenn er nicht irgendwo zwischen Landwirtschaftsbetrieb und Feldwirtschaft zu finden war, war Becker in seinem Fahrbetrieb eingespannt und auf großer Tour. Über zwei Jahrzehnte schrieb er beispielsweise als zuverlässiger Transporteur von "Bahlsen-Keksen" ein Kapitel seiner Firmengeschichte. Viel gefragt und gefordert war der leidenschaftliche Autofahrer ebenso als langjährig versierter Busfahrer eines regionalen Busunternehmens. Mit Nerven wie Drahtseilen steuerte er oftmals seinen vollbesetzen Reisebus bei Urlaubs- oder Vereinsfahrten über Autobahnen, Land- und enge Passstraßen über alle Berge. Kein Wunder also, dass bei der Wahl des Familienautos bevorzugt ein praktikabler VW-Bulli angeschafft wurde, den man in Ausnahmefällen genauso gerne für kleinere Sonderfahrten einsetzen konnte.
Übrigens wurden mit den Schrauber-Qualitäten von Becker die Fahrzeuge der Familie mitunter mächtig alt. Ein Lieblingsstück der Vergangenheit mit Oldtimer-Kennzeichen sei noch immer ein sichtbarer Beweis, kitzelten Elfriede und Ernst Becker mächtig die Neugierde unserer Mitarbeiterin. Letztlich holte das Paar einen Autoschlüssel hervor und lud zu einer kleinen Fahrzeugschau in die Garage. Und da stand er, ein goldfarben lackierter VW-Bus Caravelle der T3-Baureihe, poliert, getankt und abfahrbereit für eine geschichtsgetränkte, nostalgische Reise ins Glück. Wenn "der" Oldtimer jetzt erzählen könnte, würde er vielleicht berichten: von den Sonntagstouren durch das Gründchen als Kirchentaxi, um nicht-motorisierten-Katholiken den Gottesdienst in der katholischen Kirche in Grebenau zu ermöglichen. Er würde in hellsten Tönen einen hammermäßigen Ausflug einer Vogelsberger Tanzgruppe nach Würzburg beschreiben, bei dem der große Reisebus voll besetzt war, und notgedrungen im Schatten des großen Bruders eine Rest-Nachhut mit der Chefin Elfriede Becker recht flott über die Autobahn auf Tour ging. "Oldie but Goldie" würde am Ende sicherlich auch voller Stolz verraten, dass er heutzutage nur noch bei schönem Wetter für Elfriede und Ernst Becker auf Hochtouren läuft. Das Ehepaar hat es sich verdient.
Quelle: Oberhessische Zeitung https://www.oberhessische-zeitung.de/lokales/vogelsbergkreis/grebenau/ihr-rezept-fur-ehe-reden_22476993